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Indien wird aufgrund seiner erheblichen Wirtschaftskraft, die auf einer jungen Bevölkerung, zunehmender Urbanisierung und einer stark wachsenden Mittelschicht basiert, oft als „zweites China“ angesehen. Die Hoffnung, dass Indien den großen Nachbarn als Motor der Weltwirtschaft ablösen könnte, hat in den vergangenen Jahren zu erheblichen Kapitalbewegungen aus China heraus nach Indien geführt. Doch trotz aktuell hoher Wachstumsraten von mehr als 6 Prozent im Jahr ist es alles andere als sicher, dass die indische Wirtschaft einen ähnlich steilen Aufstieg hinlegen kann wie die chinesische. Zwischen den beiden Volkswirtschaften gibt es gravierende Unterschiede.
Indien verfolgt ein konsumorientiertes Wachstumsmodell, während China in den vergangenen Jahrzehnten auf ein exportorientiertes Wachstum und damit insbesondere auf die Industrie gesetzt hat. Von Chinas Importen gingen deshalb erhebliche Wachstumsimpulse auf die Weltwirtschaft aus. Indien kann China in dieser Hinsicht nicht ersetzen, weil die indische Industrie für die Gesamtwirtschaft eine wesentlich geringere Rolle spielt.
Das Wachstumspotenzial, das aus der jüngeren Bevölkerungsstruktur Indiens resultiert, wird bisher unzureichend genutzt: Im internationalen Vergleich schneidet das indische Bildungssystem schlecht ab mit der Folge, dass eine große Zahl junger Inder nur über unzureichende Qualifikationen verfügt und trotz des generellen Überangebots an Arbeitskräften in einigen Wirtschaftssektoren ein Fachkräftemangel herrscht. Die geringe Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt, deren Ursache in Zugangsbeschränkungen für Frauen zu Bildung und in konservativen Familienbildern zu suchen ist, stellt ebenfalls ein Hemmnis dar.
Auch die teilweise noch unterentwickelte Infrastruktur ist in Indien ein Wachstumshemmnis: Schlecht ausgebaute Straßen, fehlende Eisenbahnstrecken und ineffiziente Flughäfen führen zu Verzögerungen in der Lieferkette und halten ausländische Unternehmen von Investitionen ab. Eine nach wie vor ineffiziente Bürokratie, Korruption und komplizierte Arbeitsgesetze behindern die unternehmerische Tätigkeit.
Man wird der indischen Regierung unter Ministerpräsident Modi durchaus Reformwillen attestieren können: Etliche Projekte wurden bereits angestoßen: ,,Make in India“ fördert – neben anderen Sektoren – vor allem den Industriesektor, indem Investitionen erleichtert, Innovationen angeregt und Eigentumsrechte stärker geschützt werden sollen. Auch die Initiative „Atmanirbhar Bharat“ (,,eigenständiges Indien“) ist darauf angelegt, Wirtschaft, Infrastruktur und technologische Systeme zu stützen. Eine Reform der Lieferketten für die Landwirtschaft gehört ebenso zum Programm wie die Vereinfachung von Gesetzen und des Steuersystems. Das Bildungssystem soll durch die Kampagne ,,National Education Policy 2020‘‘ reformiert werden, indem Zugangsbeschränkungen zu Bildungseinrichtungen abgebaut und die Gesamtqualität der Ausbildung junger Inder deutlich verbessert werden sollen.
10 Jahre der Regierung Modi zeigen aber: Auch in der „größten Demokratie der Welt“ lassen sich strukturelle Hemmnisse nicht einfach und schnell beseitigen. Investoren werden also auch in Zukunft genau hinsehen müssen, in welchen Bereichen die erzielten Fortschritte tatsächlich Investitionen lohnenswert erscheinen lassen, und in welchen Bereichen dies nicht der Fall ist.